Ein Stück Utopia für zehn Millionen Euro

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Viele haben schon von einem Utopia geträumt, einem Ort, wo jeder Mensch gleiche Rechte besitzt, mit Kommunenleben und Freiheit. Solche „Freistädte“ existieren. Christiania in Kopenhagen ist so eine Stadt, die von den Bewohnern selbst proklamiert wurde, und die sich selbst verwaltet. Am 26. September feiert Christiania ihr 40jähriges Bestehen.

Die Geschichte von Christiania begann 1970, als eine Gruppe von Hippies ihre Kunst in einer Ausstellung präsentierten. Aus dieser Ausstellung entstand die alternative Zeitung „Hovedbladet“ („Das Hauptblatt“), für die Jacob Ludvigsen als Journalist arbeitete. Er schrieb in mehreren Artikeln, darunter „Die verbotene Stadt des Militärs“, über ein stillgelegtes Militärgelände im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn. Ludvigsen meinte, dass dieses Gelände die bis jetzt größte Chance wäre, eine freie Gesellschaftsordnung von Null an aufzubauen.


Im September 1971 wurde die Zäune um das Areal von Einwohnern der umliegenden Stadtteile eingerissen, und das Gelände teilweise als Spielplatz für ihre Kinder übernommen. Immer mehr Menschen zogen dorthin und schufen damit das, was heute als „Fristad Christiania“ bekannt ist, was soviel wie Freistadt Christiana bedeutet. In diesem „Utopia“ gibt es weder Mietverträge noch Wohnungseigentum, keine Autos oder Motorräder. Die einzigen Verbote richten sich gegen Gewalt, Waffen und harte Drogen. Politische Entscheidungen werden in einem Plenum und einer Gebietssitzung getroffen.
Die Regierung und die Polizei waren natürlich gegen diese Freistadt. Nach hitzigen Debatten einigte man sich jedoch. Die Bewohner zahlten für Wasser und Strom, und die Politik tolerierte die Kommune als soziales Experiment. Regierungen kamen und gingen, die Freistadt blieb, und das obwohl immer wieder versucht wurde, das Gebiet zu räumen. Inzwischen ist Christiania tief mit Kopenhagen verwurzelt. Die Kommune ist eines der beliebtesten Touristenziele in der dänischen Hauptstadt. Rund eine Millionen Besucher schlendern jährlich durch die Freistadt.
Obwohl juristische und politische Mittel gegen die Freistadt immer wieder scheiterten, wollte der Staat den Kampf gegen die Kommune nicht aufgeben. Seit 2004 war die Polizei trotz der Duldung der Kommune mehrfach gegen den Drogenhandel auf dem Gelände vorgegangen. Zudem kündigte die Regierung an, einige Häuser abreißen zu lassen, was zu teils gewaltsamen Protesten der Bewohner führte. 2006 und 2008 klagten die Bewohner, um ein Nutzungsrecht für das von ihnen besetzte Land einzufordern. Die Pläne der Regierung zur Räumung der Siedlung würden Christiania zerstören, argumentierten sie.
Doch Christiania musste im Februar 2011 in der letzten Instanz des Obersten Gerichtshof eine Niederlage hinnehmen. Das Gericht befand, das trotz der jahrzehntelangen autonomen Nutzung durch die dortigen Bewohner der Staat das alleinige juristische Bestimmungs- und Eigentumsrecht nie verloren habe. Der Freistadt wurden zwei Möglichkeiten für eine Lösung angeboten: Die Bewohner kaufen das rund 34 Hektar große Gelände, oder der Staat wird von seinen Eigentumsrechten Gebrauch machen, was Räumungsklagen, Abriss von Gebäuden und den Verkauf der Grundstücke bedeutet hätte.
Die rund 700 Bewohner von Christiania nahmen das Verkaufsangebot des Staates an und zahlen nun 76,2 Millionen Kronen (rund 10,2 Millionen Euro). Zudem müssen sie Bauauflagen der Behörden erfüllen. Die vor 40 Jahren erfolgte Besetzung des ehemaligen Kasernengeländes in der dänischen Hauptstadt ist damit juristisch legalisiert worden.
Ruhiger ist es in Christiania deswegen aber nicht geworden. Erst im August endete ein Polizeieinsatz mit Steinewerfern, brennenden Mülltonnen und Tränengasgeschossen. Die Polizei verhaftete auf Christianias Haschisch-Meile „Pusher Street“ einen Drogenverkäufer. Nach dem Protest einzelner Schaulustiger schaukelte sich die Situation auf, und rund 50 Randalierer griffen die Einsatzkräfte mit Steinen an. Erst mit dem Einsatz von Tränengas konnte die Menge zurückgedrängt werden.
Trotz des Kaufs und der nun rechtlich eindeutigen Situation sind nach wie vor Spannungen mit der Stadt Kopenhagen und der staatlichen Gewalt reichlich vorhanden. Der Unmut über Einmischungen bleibt. „Fristad Christiania“ ist als Stadt Realität, als neue Gesellschaftsordnung wird sie wohl eine Utopie bleiben.